Hinterbliebenenrente verstößt gegen Diskriminierungsverbot
Am 20.10.2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK verurteilt.
Bestimmte Vorschriften des Gesetzes über die Alters- und Hinterbliebenenversicherung in der Schweiz behandeln Männer und Frauen ungleich.
Der Beschwerdeführer in dem Verfahren ist ein Witwer, der sich nach dem Tod seiner Frau um die gemeinsamen Töchter kümmerte und dafür seine Arbeitsstelle aufgab. Er bezog Leistungen aus der Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Als seine jüngste Tochter 18 Jahre alt wurde, stellte die Versicherung die Leistungen ein, da dies im Gesetz ausdrücklich so geregelt war. Eine entsprechende Regelung für Witwen gab es allerdings nicht, so dass Frauen auch nach dem Erwachsenwerden der Kinder weiterhin Leistungen aus der Versicherung beziehen konnten. Darin sah der Beschwerdeführer eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen.
Der Fall ging bis vor das Schweizer Bundesgericht. Dort wurde dem Beschwerdeführer allerdings nicht Recht gegeben. Begründet wurde dies damit, dass das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK nur im Zusammenhang mit anderen Rechten, die in der EMRK oder in einem der Zusatzprotokolle verankert sind. Das Diskriminierungsverbot verbietet also nicht jegliche Ungleichbehandlungen, sondern nur solche im Zusammenhang mit einem anderen Recht, das sich ebenfalls aus der EMRK ergibt. Es ist also ein weiteres Recht erforderlich, das einem diskriminierenderweise verwehrt wird.
Das Schweizer Bundesgericht war der Auffassung, Ansprüche auf Leistungen von Versicherungen seien durch Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, welches das Recht auf Eigentum regelt, geschützt. Dieses Zusatzprotokoll wurde von der Schweiz allerdings nicht unterschrieben, was zur Folge hat, dass es in der Schweiz nicht anwendbar ist. Damit stellte das Bundesgericht dann fest, dass es an einer Vorschrift fehle im Hinblick auf welche eine Ungleichbehandlung erfolgt war.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Sache anders gesehen. Er war der Meinung, als Vorschrift käme nicht nur das Recht auf Eigentum in Betracht, sondern auch das Recht auf Familienleben. Die Schweizer Regierung trug vor, dass das Recht auf Familienleben des Beschwerdeführers nicht durch die Tatsache, dass er keine Leistungen mehr beziehen könne, beeinträchtigt werde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte argumentierte, dass der Zweck dieser Leistungen ja gerade darin bestehe es Verwitweten zu ermöglichen sich um ihre Familie zu kümmern. Männer und Frauen werden im Hinblick auf den Genuss dieser Leistungen gesetzlich ungleich behandelt. Eine solche Ungleichbehandlung ist nur zulässig, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann. Solche Gründe erkannte der Gerichtshof in diesem Fall nicht. Früher war es vielleicht so, dass Frauen aufgrund einer gesellschaftlichen Benachteiligung mehr auf die Versicherungsleistungen angewiesen waren als Männer, eine solche Unterteilung ist jedoch heutzutage nicht mehr zeitgemäß. Daraufhin stellte der Gerichtshof einen Verstoß gegen die EMRK fest.
Der Beschwerdeführer machte hohen Schadensersatz geltend. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschränkte sich allerdings darauf die Verletzung der EMRK festzustellen und verwies für die Bestimmung der Schadenshöhe zurück an die Schweiz. In der Schweiz kann der Beschwerdeführer jetzt ein Wiederaufnahmeverfahren beantragen. Weiteres bleibt abzuwarten.