Am 9. Januar 2018 verurteilte der EGMR die Schweiz wegen der nachträglichen Anordnung einer stationären Maßnahme und der Inhaftierung des Schweizer Staatsbürgers M. Mihret Kadusic. Das Urteil in voller Länge finden Sie hier.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer Herr Kadusic wurde im Mai 2005 wegen verschiedener Delikte in der Schweiz zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Im März 2013, kurz vor seiner Haftentlassung entschied dass Kantonsgericht Basel-Stadt, dass die Strafe in eine sog. „therapeutische Maßnahme“ (Art. 59 es schweizerischen StGB) umgewandelt werden sollte als Folge des geistigen Gesundheitszustands Kadusics. Laut verschiedener Führungsberichte hatte sich Kadusic im Vollzug vorbildlich verhalten.
Damit eine Strafe in eine Maßnahme umgewandelt werden kann muss während des Vollzugs eine psychische Störung festgestellt werden. 2008 wurde im Rahmen eines psychiatrischen Gutachtens eine mittelschwere paranoid narzisstische Persönlichkeitsstörung beim Beschwerdeführer festgestellt. Zudem verfüge der Beschwerdeführer über keine Tateinsicht und sei daher eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Kadusic weigerte sich konstant der psychischen Behandlung zu folgen, die ihm zur Verfügung gestellt wurde.
2010 bestätigte ein Ergänzungsgutachten den Befund des ersten Gutachtens und hielt außerdem fest, eine Therapie habe geringe Erfolgsaussichten. Daraufhin entschied sich das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt die befristete Freiheitsstrafe in eine Verwahrung umzuwandeln (Art. 64 StGB).
Das Bundesgericht befand diese Anordnung jedoch 2012 für unzulässig. Eine Verwahrung dürfe nur die Ultima Ratio (das letzte Mittel) sein und dies sei nicht der Fall.
Am 22. August 2012 Entschied das Appellationsgericht daraufhin, dass anstelle der Verwahrung nur noch eine stationäre therapeutische Maßnahme angeordnet wird. Während dieser Verhandlung wurde auch die Psychiaterin des Ergänzungsgutachtens von 2010 noch einmal angehört. Sie unterbreitete unter anderem konkrete Therapievorschläge, die von den Vollzugsbehörden jedoch nicht beachtet wurden. Der Beschwerdeführer verblieb daraufhin in einer Anstalt, in der er nicht geeignet behandelt werden konnte.
Urteil des EGMR
Der EGMR hat in seinem Urteil die nachträgliche Anordnung einer stationären Maßnahme als grundsätzlich legitimes Mittel anerkannt. Allerdings muss ein kausaler Zusammenhang zum Ausgangsurteil und damit auch zur begangenen Straftat bestehen. Im Fall Kusadic lag das Ausgangsurteil aber bereits sieben Jahre zurück und die Entlassung des Beschwerdeführers stand kurz bevor. Daher dürfe die Frage nach der Kausalität nicht leichtfertig bejaht werden.
Der Gerichtshof kritisierte außerdem, dass sich das Appellationsgericht in seinem Urteil auf zwei Gutachten stützte, die bereits rund zwei bis vier Jahre alt waren. Vor dem Hintergrund einer hinreichenden Aktualität hätte ein neues Gutachten erstellt werden müssen.
Weiterhin stellte der EGMR fest, dass der Beschwerdeführer in einer nicht angemessenen Umgebung behandelt wurde und in eine andere Anstalt hätte verlegt werden müssen. Die Tatsache, dass Kusadic sich jedweder Behandlung verweigerte, rechtfertige es nicht ihn in einer unangemessenen Anstalt festzuhalten.
Zusammenfassend stellte der EGMR fest, dass die beanstandete Maßnahme, die erst verhängt worden war, als der Antragsteller kurz vor der Vollstreckung seiner ursprünglichen Strafe stand, auf Expertenschätzungen beruhte, die nicht ausreichend aktuell waren und den Antragsteller mehr als viereinhalb Jahre nach Ablauf seiner Haftstrafe in einer Einrichtung zurückließen, die für seinen Zustand offensichtlich ungeeignet war.
Da sie daher mit den Zielen der ursprünglichen Strafe unvereinbar war, stellte der EGMR eine Verletzung von Art. 5 a) EMRK dem Recht auf Freiheit und Sicherheit fest.
Folgen
Der EGMR sprach Kadusic eine Entschädigung von 20.000€ für den immateriellen Schaden, sowie 12.000€ für die Prozesskosten zu. Im Anschluss an das Urteil wurde Kadusic am 15. Januar 2018 aus der Haft entlassen.
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